Die Vernetzung und Digitalisierung der Supply Chain ist der Schlüssel zum Erfolg

marketSTEEL im Interview mit Frau Ilse Henne, Chief Transformation Officer, thyssenkrupp Materials Services

marketSTEEL: thyssenkrupp befindet sich in einem großen Veränderungsprozess. Inwieweit ist thyssenkrupp Materials Services davon betroffen?

Ilse Henne: Materials Services ist eine wichtige Säule von thyssenkrupp. Wir verfügen über eine starke Marktposition: Als größter werksunabhängige Werkstoffhändler und Dienstleister der westlichen Welt sind wir die Nummer 1 in Deutschland und in Europa sowie die Nummer 3 in Nordamerika. Wir haben uns vielfach bewährt und treiben unsere Transformation sehr aktiv voran. Der Vorstand von thyssenkrupp glaubt klar an die Leistungsfähigkeit und die Strategie von Materials Services. Das hat unsere Vorstandsvorsitzende Martina Merz erst kürzlich auf der Hauptversammlung bestätigt.

marketSTEEL: Sie sprechen von einer Transformation von Materials Services. In welche Richtung soll denn die Reise gehen?

Ilse Henne: Die Basis für unseren Erfolg ist das erprobte Geschäftsmodell Materials And Services, unser industrieübergreifender Kundenstamm und unser diversifiziertes Portfolio. Das Handelsgeschäft ist unser Fundament und bleibt auch Teil unseres Kerngeschäfts. Aber Kundenbedürfnisse verändern sich und gehen ganz klar in Richtung Dienstleistung. Daher verändern wir uns von Materials AND Services zu Materials AS A Service. Service ist unser neues Material. Wir bauen unser Angebot sukzessive insbesondere im Bereich des intelligenten Supply Chain Managements aus und stellen uns so auf, dass wir sogar als reiner Service-Anbieter agieren können. Wir wollen zu dem Schlüsselakteur für eine smartere Verbindung zwischen Menschen und Material werden.

marketSTEEL: Sie sagen, dass Sie das Supply Chain Services Geschäfts ausbauen wollen. Was macht Sie zuversichtlich, dass Ihre Leistungen von Ihren Kunden nachgefragt werden?

Ilse Henne: Mit unseren weltweit 250.000 Kunden haben wir den Puls direkt am Markt. Und wir befragen unsere Kunden regelmäßig. Daher wissen wir, dass sie sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren wollen. Die zuverlässige Versorgung mit den dafür notwendigen Werkstoffen ist für unsere Kunden zwar erfolgskritisch – ihr Geld verdienen sie damit aber nicht. Hier übernehmen wir. Materials Services ist ein vorausschauender Netzwerkbauer, der anpackt, damit die globale Zusammenarbeit auch bei komplexen Lieferketten und schwierigen Rahmenbedingungen gut funktioniert. Die Vernetzung und Digitalisierung der Supply Chain unserer Kunden ist der Schlüssel zum Erfolg – und daran arbeiten wir.

marketSTEEL: Während der Pandemie haben sich globale Lieferketten als fragil erwiesen. Erleben wir in Sachen Supply Chain Management nun eine Ära der Glokalisierung?

Ilse Henne: Ohne globale Netzwerke, ohne Multisourcing wird es auch in Zukunft nicht funktionieren. Mit den Erkenntnissen aus der Coronapandemie – nämlich, dass man in der Lage sein muss, noch flexibler im Supply Chain Management zu agieren, lassen sich neue Vorteile aus globalen Lieferketten ziehen. Wer auf zahlreiche unterschiedliche Quellen zugreift und mithilfe von Daten und Digitalisierung den Überblick behält, kann weltumspannende oder lokale, kurzfristige Veränderungen gut managen. Deswegen sind wir schon heute dabei, die Strukturen der globalen Supply Chains neu zu denken. Es geht darum, Flexibilität, Effizienz und Sicherheit miteinander zu verbinden und Komplexität zu bewältigen. Wir nennen das `Connecting smarter´.

marketSTEEL: Digitalisierung wird also immer wichtiger. Wo steht Materials Services?

Ilse Henne: Materials Services ist bereits sehr digital. Dass wir unser Handelsgeschäft automatisieren und digitalisieren, versteht sich dabei von selbst. Unsere Kunden können bei uns schon lange als Teil unsere Omnichannel-Strategie über digitale Kanäle bestellen: in Nordamerika bei Onlinemetals, in Deutschland über das B2B Portal von Schulte und seit neuestem in Großbritannien über Steelbay Exchange. Dies sind nur drei Beispiele für verschiedene Online Shops und Kundenportale, die bei uns zum Einsatz kommen. Aber: Es geht ja nicht nur darum, das Handelsgeschäft über andere Kanäle zu lenken. Unser Ansatz greift viel tiefer: Wir übersetzen das, was wir schon lang für uns selber tun immer mehr in Lösungen und Produkte für unsere Kunden. Dazu gehört beispielsweise unsere selbst entwickelte IIoT-Plattform toii. toii ermöglicht es uns und unseren Kunden, die Auslastung von Anarbeitungsmaschinen zu verbessern und damit Prozesse über die gesamte Supply Chain hinweg zu automatisieren und effizienter zu gestalten. Ein anderes Beispiel in Sachen IT ist unser Supplier Network Tool. Diese Plattform ermöglicht es uns, die Kapazitäten externer Anarbeiter mit unseren Kunden zu vernetzen. Mit unserer Strategie Materials as a Service bauen wir also unser IT-basiertes Dienstleistungsportfolio aus und entwickeln neue, skalierbare Geschäftsmodelle.

marketSTEEL: Welche Rolle spielt in Ihrem Geschäft der Faktor Nachhaltigkeit?

Ilse Henne: Nachhaltigkeit ist ein zentraler Baustein unserer Agenda und fest in unserer Unternehmensvision verankert. Für uns hat Nachhaltigkeit dabei eine ökonomische, ökologische und soziale Komponente: Wir wollen die zur Verfügung stehenden, endlichen Ressourcen bestmöglich einzusetzen – schonend und verantwortungsvoll. Das betrifft Materialen, Rohstoffe, finanzielle Mittel und Menschen. Wir gehen auch hier sehr konsequent und in vielen Schritten voran: Denn in einem so vielschichtigen Geschäft wie dem unseren, gibt es viele Hebel. Ob in der Produktion, in der Verarbeitung, in Vertrieb, Lager und natürlich besonders auch in der Logistik – überall gibt es Chancen, nachhaltiger zu werden. Durch Logistik- und Fahrtwegoptimierung, den Einsatz regenerative Energien und die Vermeidung von Verschwendung. Und auch hier spielt die digitale Transformation eine wichtige Rolle.

01.03.2021 von Dagmar Dieterle