Interview mit Herrn Dipl.-Ing. Thomas Junker, Hauptgeschäftsführer BDSV
marketsteel: Herr Junker, am 16.-17.02.2022 fand die Handelsblatt Tagung 2022 „Zukunft Stahl“ statt. Wie bewerten Sie die Beiträge und Diskussionen der Tagung, insbesondere was die Bedeutung des Themas Einsatz von Recyclingrohstoffen in der Stahlherstellung betrifft?
Thomas Junker: Im Gegensatz zu den vorherigen Handelsblatt-Jahrestagungen „Zukunft Stahl“ war die Stimmung diesmal insgesamt optimistischer. Ich hatte das Gefühl eine ganze Branche macht sich daran, den Klimawandel entgegenzutreten.
Für uns als Stahlrecyclingbranche war es erfreulich zu hören, dass sich die Stahlhersteller inzwischen alle im Rahmen der Transformation intensiv mit dem Einsatz von Recyclingmaterial beschäftigen. Das Thema hat sich zum Überraschungsthema der Tagung entwickelt, so auch das Fazit der Veranstaltungsmoderation am Ende des ersten Veranstaltungstages. Sehr positiv fanden wir auch, dass die Vertreterin der Georgsmarienhütte Holding GmbH, einem Elektroofenbetreiber, ein beindruckendes Plädoyer für den Schrotteinsatz gesprochen hat.
Darüber hinaus hat der Vortrag von Prof. Dr. Frank Pothen vom Forschungsinstitut Fraunhofer IMW zur Studie „Schrottbonus Konkret“ Lösungsvorschläge aufgezeigt, wie Anreize für den Recyclateinsatz durch die Zuteilung kostenloser Zertifikate im EU-ETS geschaffen werden können. Wie die Tagung gezeigt hat, ist dies ein wichtiges Thema für alle Stahlhersteller, da das bisher geplante Auslaufen der Zuteilung kostenloser Zertifikate eine deutliche Steigerung der Produktionskosten mit sich bringen wird. Insofern ist der Zeitpunkt jetzt genau richtig, über unseren Vorschlag zu diskutieren.
marketsteel: Bleiben wir beim Thema „Verankerung des Schrottbonus im EU-ETS und CBAM“. Können Sie uns Ihren Vorschlag etwas genauer erläutern?
Thomas Junker: Ein wesentliches Ergebnis der von der BDSV beauftragten Studie „Schrottbonus Konkret“ ist, dass die für den Zeitraum 2021-2030 geplante 4. Phase des EU-ETS erhebliche Regulierungslücken aufweist, die zu einer Asymmetrie der Rohstoffversorgung führen. Mangels Auflistung in Anhang I der entsprechenden EU-Richtlinie unterliegen der Steinkohle-, Eisenerz- und NE-Metallerz-Bergbau nicht dem EU-ETS. Hierdurch wird der Recyclingrohstoff Stahlschrott gegenüber Primärrohstoffen wie Eisenerz, Steinkohle und NE-Metallerz benachteiligt. Dasselbe gilt auch für Rohstoffimporte aus Drittländern, die im Carbon Border Adjustment Mechanismus (CBAM) geregelt werden sollen.
Somit werden die ökologischen Belastungen aus der Erzgewinnung in Europa bisher nicht berücksichtigt. Sie sind als negative externe Effekte und Kosten für Umwelt und Gesellschaft nicht internalisiert, wie der Volkswirt es ausdrücken würde. Beim Einsatz von Stahl- und Edelstahlschrott fallen diese externen Kosten, die wir in der Studie „Schrottbonus“ quantifiziert haben, hingegen nicht an. Um die anspruchsvollen Ziele des „European Greendeal“ und „Fit-for-55“ zu erreichen, sprechen wir uns ganz klar dafür aus, den Schrottbonus in die Preismechanismen von EU-ETS und CBAM mit aufzunehmen.
Dadurch würde der bisherige und noch zu steigernde Einsatz von klimafreundlichem Stahl- und Edelstahl-Recyclingmaterial in der Stahlproduktion in Europa honoriert werden. Derzeit würden noch bestehende Fehlallokationen zu Gunsten von Primärrohstoffen beseitigt und die erforderlichen Anreize für eine nachhaltige Stahlproduktion gesetzt werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf hinweisen, dass die Förderung des Einsatzes von Recyclingmaterialen unter dem Stichwort „geschlossene Kreislaufwirtschaft“ mit großer Berechtigung eine klare Zielsetzung des EU-„Green-Deal“ ist.
Bezüglich der Umsetzung unseres Vorschlags stehen wir mit der EU-Kommission und dem europäischen Recyclingverband EuRIC in engem Austausch.
marketsteel: Hat der Krieg in der Ukraine Auswirkungen auf die deutsche Stahlrecyclingbranche? Können Sie schon abschätzen, wie sich die Situation auf die Märkte auswirken wird und welche Folgen mögliche Sanktionen haben werden?
Thomas Junker: Seit dem 24.02.2022 hat sich die Situation mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine dramatisch verschärft. Dies sorgt für weitere Unsicherheiten, insbesondere in den Märkten für Rohstoffe und Energie. Russland und die Ukraine zählen zu den wichtigsten Roheisenlieferanten der USA (etwa 61% der US-Importe stammen aus dieser Region). Verschärft wir die Situation dadurch, dass auch der drittwichtigste Roheisenlieferant Brasilien derzeit Lieferprobleme hat. Wir erwarten deshalb, dass sich das Interesse der US-Verbraucher stärker auf Stahl-Recyclingmaterial, und hier insbesondere auf Neuschrotte, konzentrieren wird. Dieses Material ist ebenfalls knapp und wird aktuell sehr stark nachgefragt.
Derzeit ist noch unklar, wie sich die von der internationalen Gemeinschaft angekündigten Sanktionen auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken werden. Als Folge der Annexion der Krim durch Russland und die damit verbundenen Sanktionen gegen Russland im Jahr 2014 wurden beispielsweise die Gießereien und der Maschinenbau in Deutschland stark in Mitleidenschaft gezogen.
Besonders betroffen ist die Stahlrecyclingbranche – wie auch andere energieintensive Branchen – von den ohnehin schon sehr hohen Energiekosten in Deutschland. Die Stromkosten sind als Reaktion auf den Angriff Russlands auf die Ukraine innerhalb eines Tages um etwa 15 % gestiegen. Um die Wirtschaftlichkeit und damit die Überlebensfähigkeit der Branche mittel- bis langfristig abzusichern, brauchen wir planbare Energiekosten, die uns im europäischen und im weltweiten Wettbewerb bestehen lassen. Durch den Krieg in der Ukraine ist die zumindest noch mittelfristig notwendige Versorgung mit Erdöl, Erdgas und Steinkohle stark gefährdet und muss unter Umständen kurzfristig ersetzt werden. Die Bundesregierung sollte deshalb ihr Vorgehen in Bezug auf die Energiewende umgehend anpassen und in eine pragmatische und schnelle Umsetzung bringen.
Es kommt hinzu, dass die EU immer schärfere gesetzliche Umweltvorschriften für unsere Mitgliedsunternehmen verabschiedet, die zusätzlich in der nationalen Gesetzgebung verschärft werden. Dies bringt insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen an die Grenze des Leistbaren.
Auch das Thema Lkw-Fahrermangel, mit dem sehr viele unserer Mitgliedsunternehmen konfrontiert sind, wird durch den Kriegsausbruch in der Ukraine zusätzlich belastet. Da viele der in Deutschland tätigen ukrainischen Lkw-Fahrer Reservisten sind, werden sie derzeit zur Verteidigung ihres Heimatlandes dorthin zurückbeordert.
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