Ob durch Überkapazitäten, verschärften Emissionshandel oder unfairen Handel – Europas Stahlindustrie durchlebt herausfordernde Zeiten. Um in einem solch verschärften Wettbewerb bestehen zu können, müssen sich europäische Stahlhersteller wie Tata Steel durch Produkte von erstklassiger Qualität, besondere Serviceleistungen und innovative Lösungen von der lokalen und globalen Konkurrenz abgrenzen. Die eigenen Kunden erfolgreicher zu machen ist ausschlaggebend für den eigenen und langfristigen Erfolg.
Geht es um die Leistungsfähigkeit der Stahlindustrie, stand ein wichtiger Teil bislang weniger im Mittelpunkt: die Distributionsbranche. In Europa finden nur rund ein Drittel aller Stähle Ihren Weg zum Kunden direkt vom Stahlwerk aus. Der große Teil gelangt vielmehr über Stahl-Service-Center und lokale Mehrprodukt-Händler, sogenannte „Multiproduct & Proximity Stockholders“, zu Europas Stahlverbrauchern.
Die Distributionsindustrie trägt damit maßgeblich zu einem starken europäischen Stahlmarkt bei. Und hat einen ebenso großen Anteil am Erfolg der Kundenbranchen. Diese profitieren von dem differenzierten und kundenorientierten Angebot aus beratungsstarken Service-Centern und kundennahen Stockholdern. Denn Europas Kundenmärkte sind keineswegs homogen. So finden sich beispielsweise besonders in Südeuropa stark unterschiedliche Kundengruppen. Dies erfordert eine Distribution über herstellerunabhängige Stahl-Service-Center und Stockholder, die über ein breites Produktportfolio verfügen. Im Gegensatz dazu spielen in Regionen wie Deutschland oder Frankreich, die mit ihrer Automobilindustrie viele Kunden der gleichen Branche beherbergt, herstellergebundene Stahl-Service-Center eine wichtige Rolle. Diese unterstützen bei der Entwicklung anspruchsvoller und hochwertiger Stähle sowie bei der Einführung von hocheffizienten Lieferkonzepten − auch wenn der Vertrieb in vielen Fällen oft direkt ab Werk erfolgt.
Treiber der Neuausrichtung des Stahlmarkts
Insofern arbeiten die Hütten heute noch enger als bisher mit ihren eigenen Service-Centern zusammen. So werden differenzierte Produkte nicht nur exklusiv über die eigenen Service-Center in den Markt gebracht. Auch geben diese Kundenwünsche zu komplexen Neuprodukten und Anwendungen an die Stahlwerke weiter und pflegen einen intensiven Austausch in beide Richtungen. So ist bei allen Schritten des Entwicklungsprozesses ein direkter Draht zwischen Kunde und Hütte gewährleistet. Eine Möglichkeit, die unabhängigen Stahl-Service-Center nicht in derselben Form zur Verfügung steht.
Damit spielen herstellergebundene Service-Center auch bei der weiteren Ausrichtung bestehender und neuer Akteure im europäischen Stahlmarkt eine entscheidende Rolle: Stahlhersteller wie Tata Steel konzentrieren sich seit Jahren auf differenzierte Stahlgüten mit hoher Wertschöpfung und hohem Servicegrad. In der Platzierung solcher Produkte am Markt können weder Stockholder noch neue Akteure wie Alibaba einen entsprechenden Beitrag leisten. Ihr Fokus liegt auf dem weniger beratungsstarken Vertrieb von Commodity-Stählen.
Anpassung an neue Kundenbedürfnisse
Europas Stahlhersteller nutzen ihre eigenen Service-Center und Distributionsnetzwerke allerdings nicht zuletzt auch stärker, da sich ihre Kundenmärkte verändert haben: So zentralisieren etwa international tätige Kunden ihre Produktentwicklung und implementieren diese in ihren lokalen Märkte und Standorte. Um diesen Entwicklungsprozess erfolgreich zu begleiten, ist ein weitverzweigtes Service-Center-Netzwerk unabdingbar. Im Tagesgeschäft vor Ort zu sein, die lokale Sprache der Kunden zu sprechen und letztendlich einen hohen Servicegrad im Tagesgeschäft zu realisieren, schafft großen Mehrwert für beide Seiten.
Zentraler Vernetzer der Wertschöpfungskette
Die Stahldistribution befindet sich direkt zwischen Hersteller und Kunde – den wesentlichen Akteuren der Wertschöpfungskette, die es künftig noch stärker zu vernetzen gilt. Sie ist dabei wie eine Spinne im Netz: schnell, agil, flexibel und mit direkten Wegen. Diese zentrale Rolle ermöglicht es auch, die digitale Vernetzung aller Akteure innerhalb der gesamten Lieferkette voranzutreiben − von der Produktion und Bestellung über den Transport bis hin zur Lagerung und zielgenauen Auslieferung. Denn bereits mit dem Wissen darüber, wieviel Material die Lieferkette benötigt, ließen sich nicht nur Kundenservices noch weiter verbessern, sondern auch Effizienz steigern und Kosten sowie Kapitaleinsatz senken. Sowohl beim Hersteller als auch beim Kunden. Und damit über die gesamte Lieferkette hinweg.
Für die Distributionsbranche gilt es, sich dieser wichtigen Rolle künftig noch stärker bewusst zu sein. Nur wenn Sie ihr vielschichtiges Angebot weiter konsequent ausbaut und sich dabei an den Bedürfnissen ihrer Abnehmer orientiert, kann sie ihre Kundenbasis stärken. Und damit auch weiterhin einen maßgeblichen Beitrag zur globalen Wettbewerbsfähigkeit von Europas Stahlindustrie sowie ihrer Kundensegmente leisten.
Dr. Jens Lauber ist Managing Director Distribution Mainland Europe von Tata Steels europäischen Geschäftseinheiten, einem der führenden Stahlproduzenten in Europa.
Bild: Tata Steel