Insbesondere in Europa, wo die voestalpine rund zwei Drittel ihres Umsatzes generiert, wirkten sich die Abschwächung der exportorientierten Industrie infolge zunehmender globaler Handelsbeschränkungen, die verringerte Nachfrage aus der Automobilindustrie sowie reduzierte Investitionen auf alle Konzern-Divisionen aus. Aber auch in China und den USA schlugen sich die weltweiten Handelskonflikte in einer nachlassenden konjunkturellen Dynamik nieder. Im Stahlbereich wurden die Bedingungen zusätzlich durch massiv gestiegene Rohstoffkosten bei sinkenden Verkaufspreisen und unverändert hohen Stahlimporten nach Europa verschärft. Weiterhin belasten auch die finanziellen Aufwände für CO2-Zertifikate in der Europäischen Union sowie unternehmensintern die Hochlaufkosten beim Automotive-Werk in Cartersville, USA, die Ergebnismargen.
Entwicklung von Umsatz und Ergebnisziffern
Nach Jahren des Wachstums schwächte sich der Umsatz der voestalpine im 1. Halbjahr 2019/20 gegenüber der Vergleichsperiode 2018/19 um 2 % von 6,7 auf 6,5 Mrd. EUR ab. Deutlich stärker war der Rückgang auf Ergebnisseite spürbar: Das operative Ergebnis (EBITDA) verminderte sich um 23 % von 860 Mio. EUR im Vorjahr auf aktuell 666 Mio. EUR. Das EBIT ging im gleichen Zeitraum um mehr als die Hälfte von 480 auf 230 Mio. EUR zurück. Auf Basis eines Nettofinanzergebnisses von minus 67 Mio. EUR ergab sich für die aktuelle Berichtsperiode ein Ergebnis vor Steuern in Höhe von 163 Mio. EUR (Vorjahr: 422 Mio. EUR). Das Ergebnis nach Steuern fiel mit 115 Mio. EUR um 64 % geringer aus als im Vorjahr (320 Mio. EUR).
Die Verschuldungskennzahl Gearing Ratio (Nettofinanzverschuldung im Verhältnis zum Eigenkapital) des voestalpine-Konzerns war im 1. Halbjahr 2019/20 neben der operativen Entwicklung und der Dividendenzahlung maßgeblich von bilanztechnischen Faktoren bestimmt. Zum einen vergrößerten sich die verzinslichen Passiva infolge einer Umstellung der internationalen Rechnungslegungsvorschriften (bilanzielle Miteinbeziehung der Leasingverhältnisse gemäß IFRS 16) gegenüber dem Bilanzstichtag (31.3.2019) um rund 437 Mio. EUR. Zum anderen wurde im Berichtszeitraum die im Jahr 2013 begebene Hybridanleihe mit einem Volumen von 500 Mio. EUR per 31. Oktober 2019 gekündigt und scheint damit per 30. September 2019 in der Bilanz nicht mehr in der Position Eigenkapital, sondern unter Finanzverbindlichkeiten auf. Auf Basis dieser Entwicklungen nahm die Nettofinanzverschuldung von 3,6 Mrd. EUR per 30. September 2018 auf 4,5 Mrd. EUR per 30. September 2019 zu. Im gleichen Zeitraum reduzierte sich das Eigenkapital infolge der Dividendenzahlung und der Hybrid-Kündigung von 6,6 auf 6 Mrd. EUR. Damit erhöhte sich die Gearing-Ratio in der Vergleichsperiode von 55 % auf 75 %.
Investitionen und Mitarbeiter
Nach den hohen Investitionen der vergangenen Jahre schraubt der voestalpine-Konzern seine Investitionstätigkeit vor dem Hintergrund der sich abschwächenden Wirtschaft in diesem Geschäftsjahr zurück. Dementsprechend reduzierte sich das Volumen im ersten Halbjahr um 29 % von 475 Mio. EUR im Vorjahr auf 338 Mio. EUR. Das größte laufende Investitionsvorhaben im Konzern, der Bau eines neuen High-Tech-Edelstahlwerkes um bis zu 350 Mio. EUR am Standort Kapfenberg, schreitet mit der Errichtung der Halle weiter planmäßig voran und soll 2021 seinen Betrieb aufnehmen. Per 30. September 2019 waren im voestalpine-Konzern 51.275 Mitarbeiter (FTE) beschäftigt, was einem leichten Rückgang von 1,3 % entspricht.
Ausblick
Die Einschätzung des Vorstandes zu Beginn des Geschäftsjahres 2019/20, dass das Vorjahresergebnis auf EBITDA-Basis wahrscheinlich im aktuellen Geschäftsjahr wieder erreichbar wäre, war an eine Reihe von Prämissen geknüpft. Die wesentlichsten Einflussgrößen auf Markt- und Kostenseite, die dieser Einschätzung zugrunde lagen, waren zu diesem Zeitpunkt eine Abkühlung der Konjunktur in den für voestalpine wesentlichen Märkten, aber kein Eintreten in Rezessions- oder Krisenszenarien, eine Abkühlung der Automobilkonjunktur ohne neuerliche dramatische Verwerfungen im Automobilmarkt durch den neuen Abgastest im September 2019 in Europa, keine über die erwartete Konjunkturabkühlung hinausgehende negative Effekte aus den globalen Handelskonflikten oder des BREXIT, eine Normalisierung des Eisenerzpreises im Verlauf des Geschäftsjahres sowie die positive Erledigung der unternehmensinternen Herausforderungen.
Im Verlauf der ersten sechs Monate des Geschäftsjahres haben sich wesentliche Prämissen über weite Strecken nicht erfüllt. Zwar befinden sich die unternehmensinternen Herausforderungen in Aufarbeitung und daher werden auch weiterhin entsprechende Verbesserungen erwartet. Die Abkühlung der Automobilkonjunktur verlief jedoch intensiver und globaler als ursprünglich erwartet, auch wenn der neuerliche Abgastest im September nicht zu Verwerfungen wie vor einem Jahr führte. Der globale Handelskonflikt verbunden mit protektionistischen Maßnahmen hat die Investitionstätigkeit in weiten Teilen der Welt spürbar verlangsamt und damit insbesondere gegen Ende des ersten Halbjahres 2019/20 zu signifikanten Nachfragerückgängen in vielen für den voestalpine-Konzern wesentlichen Märkten geführt. Obwohl es über den Sommer zu einer Entspannung bei Preisen für Eisenerz kam, führte diese Entwicklung nicht zu der erwarteten Margenausweitung. Rekordimporte in die Europäische Union in Kombination mit der schwachen innereuropäischen Nachfrage führten zu Ende der Berichtsperiode zu weiter fallenden Stahlpreisen.
Diesen negativen gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen Rechnung tragend lässt sich das zu Beginn des Geschäftsjahres erwartete Szenario nicht mehr aufrechterhalten. Aus heutiger Sicht wird auch das dritte Geschäftsquartal in Bezug auf das Ergebnis zumindest ähnlich schwierig wie das zweite Quartal 2019/20. Im letzten Geschäftsquartal sollten positive Effekte sowohl aus Saisonalität als auch aus der Aufarbeitung der unternehmensinternen Themen sowie Ergebnisbeiträge aus den eingeleiteten Kostensenkungs- und Effizienzsteigerungsmaßnahmen wirksam werden.
Der Fokus des Vorstandes liegt in diesem schwierigen Umfeld auf ergebnisstabilisierenden Maßnahmen sowie auf der Generierung von Free Cashflow. Neben kurzfristigen Maßnahmen werden in den nächsten Monaten auch die Auswirkungen der geänderten globalen ökonomischen Rahmenbedingungen auf die langfristige Positionierung von allen wesentlichen Geschäftsbereichen untersucht.
„Aus heutiger Sicht erwartet der Vorstand der voestalpine AG daher für das Geschäftsjahr 2019/20 ein EBITDA in einer Größenordnung von in etwa 1,3 Milliarden Euro und liegt damit im Wesentlichen im Rahmen der Markterwartung“, so Eibensteiner.
Quelle: voestalpine AG / Vorschaufoto: marketSTEEL