marketSTEEL im Interview mit Ralf Niemeier, Gesellschafter der Visitrans GmbH
marketSTEEL: Daten verändern unsere Geschäftsmodelle. Was bedeutet Digitalisierung für die Logistik-Branche?
Ralf Niemeier:
In der Logistik herrschen sehr viele, auf Excel basierte, analoge Prozessschritte vor. Das Geschäft hat sich, ähnlich dem Stahlhandel, nicht grundsätzlich gewandelt, sodass es auch keinen echten Grund gab etwas zu ändern. Der stressige Tagesablauf hat das Thema zudem häufig in den Hintergrund gerückt. In der Logistik-Branche führt die Digitalisierung zum Generieren von besserer Auslastung und deutlich schlankeren Prozessen. Kommt auf dem Zeitstrahl KI (künstliche Intelligenz) hinzu, dann werden vorausschauende Prognosen das weiter optimieren. Wer zu dem Zeitpunkt noch analog und nicht vernetzt ist, schreibt Verluste an Stellen, an denen andere noch Geld verdienen. Digitalisierte und vernetzte Unternehmen werden die analogen verdrängen. Das Vordringen von Wettbewerbern in neue Geschäftsfelder wird schlussendlich in Echtzeit erfolgen, durch Angebote, die von jetzt auf gleich bereitgestellt und genutzt werden können.
marketSTEEL: Sie revolutionieren gerade die Logistik-Branche. Wie sieht der Ablauf einer Digitalisierung für das einzelne Unternehmen in der Logistik aus?
Ralf Niemeier:
Es geht einher mit der Öffnung der eigenen Daten gegenüber komplementären Partnern, um Synergien zu generieren. Ziel wird mehr und mehr die Bündelung von Ressourcen und Geschäftsfeldern sowie die Vernetzung sein. Digitalisierung ist in allen Geschäftsfeldern letztlich der Weg hin zu einer Konzentration auf einen Anbieter. Das wird in der Praxis soweit nicht gehen, weil Kunden und Kartellämter hier gegensteuern. Aber man darf davon ausgehen, dass bis zu diesem Punkt alles passieren wird, was diesem Prozess dient. Gibt es im Netz erst einmal fünf Anbieter für Insel-Urlaub, dann kommt eine neue www.ich-bin-doch-nicht-bloed.de Seite, die einem das Suchen in den fünf Seiten abnimmt. Das ist im B2B–Bereich ganz sicher nicht anders, weder in der Logistik noch im Stahl. Viele sind bereits jetzt zu spät dran, obwohl der Prozess noch nicht wirklich massiv eingesetzt hat. Einige Konzepte und Strategien sind einfach nicht gut und müssen nicht weiter verfolgt werden. Der Grund dafür ist, dass die Digitalisierung vielfach auf eine konsistente Verfügbarkeit von Daten abhebt. Block und Bleistift oder auch „krude vom Neffen des Inhabers“ gestrickte Excel-Lösungen sind keine valide Basis für das Einlassen auf einen Digitalisierungsprozess. Die Meisten sind komplett unschlüssig, weil ihnen ein Fixstern für das eigene Vorgehen im Bereich der Digitalisierung fehlt – synonym gesprochen – etwas Unerreichbares, das aber die Richtung vorgibt. All jene wären gut beraten, sich von den Leuten aus dem Bereich der Digitalisierung erst einmal alle Möglichkeiten aufzeigen zu lassen.
marketSTEEL: Was ist der konkrete Nutzen der Digitalisierung für die Stahlbranche? Was sind die Chancen und Risiken?
Ralf Niemeier:
Digitalisierung mit allen von mir vorangegangenen genannten Punkten wird zur Pflicht, wenn man weiterbestehen will.
Da geht es noch gar nicht einmal um den Nutzen, sondern darum, nicht zurück zu fallen.
In Zukunft werden Daten und Preise automatisch generiert z.B. CAD- oder WWS-Systeme generieren die Daten über eine Plattform oder Autokalkulationssystem bestimmen in Sekunden den Preis. Stehen diese Daten nicht zur Verfügung, ist das Unternehmen nicht mehr aufgeführt und die Firma ist einfach nicht mehr dabei.
Die Bequemlichkeit der Kunden führt ins Aus. Sie werden zu Digitalverweigerern. Nutzen generieren nur die Digitalisierer der ersten Stunde, weil Sie Prozesse optimieren und Kunden frühzeitig an sich binden können. Die Trägheit bindet diese Kunden auch bis zu einem gewissen Maß. Sind alle ersteinmal digital, dann relativiert sich jeder Vorteil und man wird fortan in Echtzeit gegen den Effektivsten oder auch den Dümmsten im Markt „ankalkulieren“ dürfen – und dass dann auch noch in Echtzeit. Eine der Chancen ist zugleich auch ein Risiko: Wenn Kunden sich Ihre Preise in Metaportalen digital beschaffen, dann kann der Händler dort von einer Sekunde auf die andere für eine neue Region, mit neuen Produkten und auch neuen Preisen auftreten. Das Risiko besteht darin, dass Wettbewerber in meine Region einzudringen versuchen. Diesem Vorgehen kann man nur begegnen, indem man selber entschlossen handelt.
marketSTEEL: Digitalisierung und elektronischer Handel sind bei den Stahlhändlern derzeit wichtige Themen. Wie beurteilen Sie den Ist-Zustand. Ist der Stahlhandel vorbereitet? Was muss in den nächsten 3 Jahren unbedingt realisiert werden?
Ralf Niemeier:
Dem Stahlhandel ist klar, dass das Thema ansteht. Der Prozess dahin ist für alle mit hohen Belastungen verbunden, was ursächlich dafür ist, dass der Stahlhandel nicht jedem digitalen Ansatz mal eben hinterher laufen kann. Ich glaube, dass der Stahlhandel handeln wird, wenn ein überzeugendes Konzept auf dem Tisch liegt, in dem er sich wiederfindet. Das sehe ich aktuell noch nicht. Die Erfahrung hat gezeigt, dass ca. 8% des Marktes bereit ist, ein Risiko einzugehen und zu handeln bzw. sich auf Konzepte einzulassen, die noch nicht ganz fertig und klar sind. Dabei kann man Glück haben, den richtigen Riecher gehabt zu haben oder eben seinen Aufwand in den Sand setzen. Circa 20% sind ambivalent und schnell zum Mitmachen zu bewegen oder sich gegen etwas zu entscheiden. Der Rest handelt nur, wenn die Richtung klar ist, bzw. wenn sich Angst breit macht, dass der Zug gerade aus der Halle fährt. Letztere kommen kaum noch in den Genuss der Vorteile der Digitalisierung, weil sie in der neuen Welt zu den Nachzüglern gehören. Die Unternehmen werden der eigenen IT und Datenstruktur sehr viel mehr Aufmerksamkeit widmen müssen und den „Neffen vom Inhaber“ durch einen Experten ersetzen müssen. Sie werden Daten verfügbar haben müssen und ein erweitertes Urteilsvermögen entwickeln, was an Digitalisierung man ernst nehmen muss und was nur Lärm macht, aber nicht durchschlagen wird. Gewinnen wird nicht, wer über die meisten Mittel verfügt, sondern wer auf dem richtigen Konzept sitzt. Im Netz sind alle zunächst einmal 19‘ Zoll groß. Konzept schlägt da Geld und das richtige Konzept erkennen Sie daran, dass es Ihren Kunden besser gefällt als Ihnen selbst, denn nichts ist demokratischer als das Internet. Man kann sich da nicht aufblasen – man muss überzeugen.
marketSTEEL: Was ist der konkrete Nutzen der Digitalisierung für die Stahlhändler? Was sind die Chancen und Risiken?
Ralf Niemeier:
Der Vorteil ist, dass Sie über viel mehr Daten verfügen werden, die es Ihnen erlauben, mit höheren Preisen auf Marktsituationen zu reagieren. Ihre Systeme werden viel genauer und zuverlässiger bepreisen, weil sie analytischer mit jedem Unternehmen und in diesen auch noch mit einzelnen Personen bei der Beurteilung des richtigen Preises vorgehen werden. Sie können neue Produkte in Echtzeit in die digitalen Vertriebskanäle schicken und Allianzen mit anderen Unternehmen in bestimmten Regionen und /oder Produktbereichen eingehen oder auch wieder lösen. Sie haben mit der Digitalisierung ein ganz neues Feld, mit dem Sie phantasievoll Ihren Kunden neue Services bieten können und werden mit der Hälfte des Personals das Doppelte bewegen.
marketSTEEL: Ihr Statement auf dem Digiday des BDS/EHV „Wer nichts tut, wird digitalisiert“. Was meinen Sie hier?
Ralf Niemeier:
Damit meine ich, dass Ihre Kunden beginnen werden, Sie mehr und mehr auf die Vorzüge des inzwischen digitalen Wettbewerbers hinzuweisen. An der Stelle werden Sie sich dem Prozess stellen müssen und das als Getriebener in der Sache erleben, der sich einem Prozess hingeben muss. Sie werden gezwungen, in die neue Welt zu wechseln. Es fühlt sich eben anders an, die Vorteile des Erstplatzierten zu genießen und nicht nur zu agieren.
Das Interview führte marketSTEEL mit Ralf Niemeier, VisiTrans GmbH