Wir sind mit viel Schwung ins Jahr 2018 gestartet und alle Indikatoren zeigen weiterhin nach oben. Es gibt praktisch keine Pessimisten mehr. Das allein mahnt mich zur Vorsicht. Die Situation erinnert etwas an 2008. Der von mir sehr geschätzte Investor Andre Kostoliany hat mir einmal gesagt: „Wenn mir ein Taxifahrer erzählt, dass er nun Aktien kauft ist es höchste Zeit alle Aktien zu verkaufen da die Zyklus-Spitze sicher überschritten ist.“
Aber lassen Sie uns auf die Fakten des Edelstahl-Marktes schauen. Das Jahr 2017 brach gleich mehrere Rekorde: Zum ersten Mal hat die globale Edelstahl-Rohstahlproduktion die Marke von 50 Mio. Tonnen überschritten. China hat zum ersten Mal mehr als 20 Mio. Tonnen ‚verbraucht‘ und der deutsche Markt ist um 8% gewachsen und hat erstmals die Marke von 1,7 Mio. Tonnen Verbrauch überschritten. Damit ist der Vorkrisen-Rekord von 2006 endgültig eingestellt worden. Edelstahl Rostfrei kennt nur eine Richtung: nach oben!
Der deutsche Markt ist fest in der Hand europäischer Produzenten. Während bei Langprodukten noch Importe aus Indien erwähnenswert sind (ca. 34.000 t oder ca. 10% aller Importe), werden bei Flachprodukten insgesamt weniger als 10% von außerhalb Europas importiert.
Was liefert momentan Gesprächsstoff? Zunächst natürlich die Handelsbeschränkungen für Exporte nach ‚Section 232‘ in die USA. Diese Regelung erlaubt es dem Präsidenten, Handelsbeschränkungen per Dekret einzuführen, wenn die nationale Sicherheit in Gefahr ist. Es wird argumentiert, dass unfair importierte Stahlprodukte die U.S.-Stahlindustrie an den Rand eines Kollaps gebracht hätten, wodurch die Versorgungssicherheit der Rüstungsindustrie nicht mehr gewährleistet sei. Beweise dafür müssen scheinbar keine vorgebracht werden. Am 1. März fiel Präsident Trumps Entscheidung, alle Stahlimporte mit 25% Importzoll zu belegen. Ausnahmen wurden bisher nur für Kanada und Mexiko eingeräumt. Weitere Ausnahmen für bestimmte Produkte werden nun verhandelt. Z.B. importieren Valbruna (aus Italien) und Outokumpu (aus England) große Mengen von Knüppeln welche in deren U.S. Werken zu Stäben gewalzt werden. Auch Allegheny Technologies importiert große Mengen von Brammen (aus Indonesien) die im Werk Midland, PA zu Blechen gewalzt werden. Ein Zollzuschlag von 25% auf diese Halbzeuge würde direkt U.S.-amerikanische Arbeitsplätze gefährden, weshalb ich davon ausgehe, dass hier Ausnahmen zugelassen werden. Für andere Produkte und Länder ist dies jedoch unwahrscheinlich.
Die Zölle traten am 23.März um 12:00 Uhr in Kraft. Die Rechnung wird hier aber letztlich der U.S. Verbraucher zahlen.
In vielen Fällen hat der U.S.-Einkäufer gar keine Wahl als die 25% Zoll zu bezahlen da die Produkte von U.S. Herstellern nicht (auch nicht in Zukunft) angeboten werden. In anderen Fällen werden Importe mit U.S. Produkten ersetzt. Ich schätze, dass dies in etwa bei der Hälfte der Produkte der Fall sein wird. Wenn man die in den letzten Jahren von Europa nach USA gelieferten Mengen zu Grunde legt (150.000 t Flach- und 60.000 t Langprodukte) wird deutlich, dass Europa ca. 100.000 t an Exportmenge verlieren könnte. Das ist vom Volumen her verkraftbar, tut jedoch im Ergebnis ‚weh‘, da der U.S. Markt überdurchschnittliche Margen erlaubt.
Ein positiver Einfluss auf den Rostfrei-Markt geht von einer weiteren Erholung im Öl- und Gasgeschäft aus. Hier möchte ich jedoch auch eine Warnung aussprechen. Der teilweise starke Anstieg des Geschäftsvolumens, das vor allem Langprodukte, Schmiedeteile und Rohre betrifft, wurde zu einem erheblichen Teil durch ein Wiederauffüllen der Lieferkette getrieben. Wenn man die Langzeitprognosen für den Ölpreis analysiert, ist zur Vorsicht geraten. Die Preiserholung von 40 $/bbl auf 60 $/bbl in der 2. Jahreshälfte 2017 ist sehr schnell erfolgt. Mehrere (kompetente) Prognosen sagen jedoch für die nächsten 2 Jahre einen eher stagnierenden Preis voraus, was zu einer eher limitierten Aktivität On- und Offshore führen wird.
Anders die Chemische Prozessindustrie. Nach vielen Jahren, in denen die Investitionstätigkeit rückläufig war, steigt diese wieder: Speziell in den USA wird dieses Jahr mit 300 Mrd. USD so viel investiert wie noch nie. In Europa wird die Erholung im 2. Halbjahr einsetzen.
Die europäische Automilindustrie ist insgesamt eher stagnierend. Neue Edelstahlanwendungen, wie der Partikelfilter auch für Benzinmotoren, Sensoren und Treibstoffleitungen sowie neuartige Auspuffblenden in hochwertigem Design (1.4301) werden den Verbrauch in diesem Marktsegment auch in 2018 erhöhen.
Die Bauindustrie könnte 2017 in Deutschland und Europa ein neues Rekordniveau erreichen. Viele Projekte können jedoch aufgrund des akuten Mangels an Bauingenieuren und Baufacharbeitern gar nicht oder nur verspätet begonnen werden.
Die Preise für rostfreie Produkte sind im Jahr 2017 gestiegen, begünstigt durch den Legierungszuschlag, während der Basispreis relativ stabil ist. Für den Rest des Jahres wird sich das so fortsetzen. Ich erwarte höhere Cr- und Mo-Notierungen. Bei Ni ist noch ein geringer Anstieg möglich, bevor es in der 2. Jahreshälfte zu einer Abschwächung kommen könnte, da der starke Anstieg der NPI-Produktion (Nickel Pig Iron) in Indonesien und China das prognostizierte Nickel Defizit verringern könnte. Ein weiteres Risiko für den Nickelpreis geht von einem möglichen Anstieg des U.S. Dollars aus, was bei der momentanen Stärke der U.S. Wirtschaft und 3 geplanten U.S. Zinserhöhungen immer wahrscheinlicher wird.
Weitere Preistreiber sind die anhaltende angespannte Situation bei Grafitelektroden, die den Preis von 2.000 €/t auf teilweise (im ‚Spot‘-Markt) über 20.000 €/t hochgetrieben hat. Auch die Gaspreise (LNG) steigen derzeit. Gas ist im Stahlwerk der zweitwichtigste Energieträger nach Elektrizität. Zusätzlich sind auch die Personalkosten ein Kostentreiber. Lohnerhöhungen von 4,1 % plus Einmalzahlungen und Arbeitszeitverkürzungen treiben die Kosten im Edelstahlwerk (und der angeschlossenen Distribution) 2018 deutlich in die Höhe. Es wird daher für die Edelstahlhesteller zunehmend schwieriger, ihre ohnehin unzureichenden Margen stabil zu halten ohne die Basispreise anzuheben.
Langfristig droht der europäischen Industrie die größte Gefahr von den neuen ‚4-in-1‘ Produktions-sytemen, die zur Zeit in Indonesien hochgefahren werden. Hier wird direkt vom lateritischen Ni-Erz flüssiges NPI (Nickel Pig Iron) mit 12% Ni und 85% Fe im Drehrohrofen und Elektroofen hergestellt und mit geschmolzenen FeCr im AOD zu austenitischen Brammen gegossen. Die hierfür benötigte Elektrizität wird in eigenen Kohlekraftwerken, die sich durch sehr niedrige Stomkosten auszeichnen, generiert. Die Kosten für diese Brammen liegen deutlich unter jenen, die beim Einsatz von Edelstahlschrott anfallen. Alle bisher fertiggestellten oder im Bau befindlichen ‚4-in-1‘ Projekte haben einen Umfang von ca. 9 Mio. t, was die gesamte Edelstahlproduktion Europas übersteigt. Die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Werke hängt maßgeblich vom Schrottpreis ab, welcher deutlich fallen dürfte. Es sei denn, Europa nimmt sich ein Beispiel an Donald Trump und verhängt Einfuhrzölle auf Edelstahlprodukte aus Indonesien.
Abschließend würde ich den Edelstahl-Wetterbericht für 2018 mit überwiegend ‚Heiter bis Wolkig‘ prognostizieren mit möglichen Regenschauern im 4. Quartal.
Markus A. Moll ist Geschäftsführer der SMR GmbH. Als Maschinenbauingenieur und Wirtschaftswissenschaftler ist er seit über 20 Jahren erfolgreicher Marktforschungsspezialist und Berater der führenden Spezialstahlproduzenten in Europa, Amerika, Afrika und Asien. Mehr Informationen: SMR
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