Stahlkrise reloaded? Lage und Aussichten für die deutsche Stahlindustrie

Die deutsche Stahlindustrie befindet sich derzeit in einer schwierigen Situation. Die Rohstahlerzeugung dürfte im Jahr 2019 um rund 5 % gesunken sein, nach einem Minus von 2 % im Vorjahr (vgl. Abbildung 1). Zudem drücken die in vielen Ländern vorhandenen Überkapazitäten und die Importbeschränkungen der USA auf die Stahlpreise. Dadurch verschlechtert sich die Gewinnsituation der Stahl­unternehmen, zumal sich Eisenerz zur Jahresmitte 2019 stark verteuert hatte. Es überrascht vor diesem Hintergrund nicht, dass viele deutsche Stahlunternehmen einen Stellenabbau angekündigt haben.

Dass die Stahlindustrie mit Krisenzeichen kämpft oder sich vielleicht sogar zum wiederholten Mal in einer Krise befindet, kommt nicht unerwartet. Ursache dafür sind zwei Eigenheiten des Stahlmarktes: Erstens nimmt in fortgeschrittenen Volkswirtschaften der Stahlverbrauch pro Kopf mit zunehmendem Einkommen ab.1 Ursachen sind unter anderem die Verschiebung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zugunsten wenig stahlintensiver Dienstleistungen, aber auch der effizientere Umgang mit Stahl. Zweitens gibt es wirtschaftliche wie politische Hemmnisse, die Erzeugungskapazitäten an die rückläufige Nachfrage anzupassen. Wirtschaftlich spielt vor allem die hohe Kapitalintensität der Stahlerzeugung eine Rolle, die zu hohen Sunk Costs führt. Dadurch entsteht der Anreiz, Anlagen möglichst lange zu nutzen und deren Auslastung hoch zu halten. Kurzfristig nehmen die Unternehmen sogar Preise in Kauf, die die Fixkosten nicht abdecken. Politisch ist die hohe räumliche Konzentration der Arbeitsplätze der Stahlwerke ein Problem, zumal diese oft in altindustriellen, strukturschwachen Regionen angesiedelt sind. Da bei Schließung eines Stahlwerks mehrere Tausend Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen können, wird die Politik alles in ihrer Macht stehende tun, diese Arbeitsplätze zu erhalten.2

Diese Mechanismen greifen weltweit. Eine Folge sind Überkapazitäten, die sich hartnäckig halten. Dem widerspricht auch nicht, dass die Auslastung der globalen Erzeugungskapazitäten in den vergangenen Jahren wieder gestiegen ist, auf rund 82 % im Jahr 2019 (vgl. Abbildung 2). Denn darin kommt fast ausschließlich eine steigende Auslastung in China zum Ausdruck. Dort waren seit 2015 Kapazitäten stillgelegt worden, sodass bei weiter lebhafter Nachfrage nach Stahl die Kapazitätsauslastung 2018 etwa 90 % erreichte. Der kräftige Produktionsanstieg im bisherigen Verlauf von 2019 war wohl überhaupt nur deshalb möglich, weil neue, moderne Stahlwerke die Produktion aufnahmen.3 Außerhalb Chinas betrug die Kapazitätsauslastung 2018 nur 73 %, und sie dürfte 2019 gesunken sein.